Vor der...
Summaron 3,5 cm
[neuer Gelatinesilberabzug, 18,5 x 27 cm]
So wird erklärlich, warum das Gesicht der Wetzlarer Bevölkerung nicht das Gesicht einer Industrie-Bevölkerung ist. In ihr lebt noch der alte, gesunde hessische Menschenschlag, der Schlag, der im Mittelalter den Zünften angehörte, der am Dom baute, der Tore und Mauern verteidigt hat; der Mann, der auch damals schon in aller Primitivität das Erzgestein aus den Bergen schlug and es verhüttete. Es ist das gleiche Gesicht, das heute vor den heißen Hochöfen bei Buderus steht, das sich in den lichten, gesunden, mit Klimaanlage versehenen Arbeitssälen der Leitz-Werke prüfend über ein Mikroskop, eine Kamera, eine zu schleifende Linse beugt; das gleiche Gesicht, das man abends in vielen Gärtchen vor den Toren mit dem ruhig zufriedenen Ausdruck des Landmenschen sieht. Denn sie alle wohnen zumeist vor den Toren, ja sogar weithin in Wetzlars ländlicher Umgebung. Züge und Reihen von Omnibussen bringen sie morgens herein, fahren sie zum Feierabend wieder hinaus zu ihrem aller-persönlichsten Leben. Und wenn dieser Mann der Industrie vielleicht auch nichts Näheres über Goethes Leben in Wetzlar weiß, wenn er sich nicht über die Baustile des Doms den Kopf zerbricht, sondern vielleicht gar über die Enge der alten Stadtteile klagt -, dieser Mann hilft, das Gesicht Wetzlars besonders sympathisch zu machen. An ihm vollzog sich, was gemeinhin wenig beachtet bleibt, nämlich, daß die Generationen vor ihm, die mit ihren Bauten auch ihr Gedankengut der Nachwelt hinterließen und die alte Atmosphäre Wetzlars schufen, damit zugleich den heutigen Menschen formten, dem Tempo der Zeit, Radio und allen technischen Fortschritten zum Trotz, die seinen Gesichtskreis erweiterten. Der Kern blieb.